"Der SKV ist lange tot" – und andere Unsinnigkeiten
Wenige Tage vor dem Linzer Derby nehmen die gegenseitigen Provokationen, besonders in sozialen Medien, zu. Während viele Schwarz-Weiße dem Stadtrivalen jegliche Tradition und den Status als Nachfolgeverein des SK Vöest absprechen, wird auf der Gegenseite über den steigenden Einfluss eines Konzerns beim LASK und die Dressen in Sponsorfarben gehöhnt. Sich über Gegner lustig machen, weil sie mit den negativen Auswirkungen der Kommerzialisierung des Fußballs konfrontiert wurden – bei aller Rivalität ein unwürdiger Trend.
Juni 1995: Etwa tausend LASK- und SK Vöest-Fans ziehen gemeinsam demonstrierend über die Landstraße. Ihr gemeinsames Ziel ist das Verhindern einer Zusammenlegung der beiden Klubs – das vorerst erreicht werden kann. Zwei Jahre später wird die Fusion dann doch im Eilverfahren umgesetzt. Bei vielen Linzern ist in Vergessenheit geraten, dass im schwarz-weißen Lager ebenso gegen den damaligen Plan der Politik und Wirtschaft mobilisiert wurde. Auch der LASK hätte durchaus statt (oder gemeinsam) mit dem blau-weißen Rivalen der Fusion zum Opfer fallen können.
Mehr als 28 Jahre später werden am Samstag wieder tausende schwarz- und blau-weiße Fußballfans über die Landstraße ziehen, diesmal selbstverständlich nicht Seite an Seite. Auch die kurze Phase der Solidarität in den 90er-Jahren ist lange vorbei. Über die Jahre ist es auf schwarz-weißer Seite leider in Mode gekommen, den Stadtrivalen für die damalige Fusion zu verhöhnen. Viele sprechen dem neu gegründeten Blau-Weiß Linz Tradition und den Status als ideellen Nachfolgeverein des SK Vöest ab. Ein für traditionsbewusste Fußballfanatiker seltsames Vorgehen, das wohl falsch verstandener Rivalität geschuldet ist. Kaum jemand, der den kommerzialisierten Fußball ablehnt, würde etwa auf die Idee kommen, Austria Salzburg nicht als den moralischen Nachfolger des 1933 gegründeten weiß-violetten Sportvereins anzuerkennen.
„Der SKV ist lange tot“ schallte es bei einigen Derbys durch das Stadion, mittlerweile wird der Gesang zumindest von der organisierten Fanszene nicht mehr angestimmt, erfreut sich in manchen Kreisen aber immer noch an Beliebtheit. Auf der Gegenseite stellt sich die Situation nicht viel anders dar. Viele Blau-Weiße – die zwischenzeitlich ihren eigenen Klub verloren hatten – erfreuen sich nun genüsslich an der Sorge der LASK-Fanszene, es könne ihnen eines Tages ähnlich gehen. „Ich Linz, du Rosa“ ist auf blau-weißen Pickerln zu lesen, LASKler werden als „die Rosanen“ oder „die Pinken“ bezeichnet. Viel zitiert auch die Zeile eines Songs von Peter Fox: „Alle mal’n schwarz, ich seh‘ die Zukunft pink / Wenn du mich fragst, wird alles gut, mein Kind“. Manch einer gibt offen in Gesprächen zu, sich ein Ende des fantechnischen Aufstiegs des LASK durch den steigenden Einfluss von BWT zu erhoffen – und dass sich viele Schwarz-Weiße irgendwann nicht mehr mit dem eigenen Verein identifizieren können. Im April konnte sich auch die sonst so klar gegen die Kommerzialierung des Fußballs positionierte Ultraszene von Rapid eine Anspielung nicht verkneifen. Im Auswärtssektor auf der Gugl wurde ein Banner mit der Aufschrift „Rosa Nero Merda“ präsentiert, die wohl kaum als Solidaritätsbekundung verstanden werden darf.
Die größten Gegner stehen nicht in der Kurve gegenüber
Bei aller Rivalität ist es ein unwürdiger Trend von Fans, sich über den Gegner lustig zu machen, weil dieser mit den negativen Auswirkungen der Kommerzialisierung des Fußballs Bekanntschaft machen muss– oder zwischenzeitlich sogar den eigenen Verein verloren hat.
Eine Fusion zweier Traditionsvereine wie in den 90er-Jahren wäre heute wohl viel schwieriger umzusetzen, das Bewusstsein für Vereinstraditionen ist geschärft, Fanszenen sind besser organisiert und vernetzt. Dennoch schreitet die Kommerzialisierung des Fußballs mit all ihren negativen Auswirkungen rasant voran. Eine Garantie, davon verschont zu bleiben, gibt es nicht. Im Hinblick darauf wäre es für viele Fanszenen – nicht nur österreichweit – von Vorteil, zu erkennen, dass die größten Gegner für die eigene Leidenschaft nicht in der Kurve gegenüber stehen – und gegenseitiger Spott in mancher Hinsicht kontraproduktiv sein kann. Denn niemand kann ernsthaft hoffen, dass weitere Traditionsvereine wie Austria Salzburg im Profifußball durch Marketingkonstrukte wie Red Bull ersetzt werden.